Grüne Niederlage Experte: "Sie gelten als abgehoben und nicht anschlussfähig"

Wende in der Stichwahl: Die Gewinnerin des ersten OB-Wahlgangs, Berîvan Aymaz, verliert gegen ihren SPD-Rivalen. Warum haben die Grünen verloren?
Köln bekommt einen neuen Oberbürgermeister: Torsten Burmester. Der Sozialdemokrat setzte sich am Sonntag bei der Stichwahl gegen Berîvan Aymaz von den Grünen mit 53,5 Prozent der Stimmen durch.
Was lässt sich anhand des Ergebnisses über die politische Stimmung in Köln und in NRW sagen? Dierk Borstel ist Professor für praxisorientierte Politikwissenschaften an der Fachhochschule Dortmund. Er hat am Montagmorgen mit t-online über die Bedeutung der Kommunalwahl und darüber, wieso sich die Grünen bei Stichwahlen schwertun, gesprochen.
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t-online: Nach dem ersten Wahlgang haben Sie die Stichwahl in Köln ja als "völlig offen" bewertet. Wie bewerten Sie jetzt das Ergebnis?
Dierk Borstel: In Köln hat sich eine Polarisierung gezeigt zwischen den eher linksliberalen Grünen, der politischen Mitte und den Stadtteilen, die eher in der Peripherie liegen. Den Grünen ist es nicht gelungen, über ihr unmittelbares Milieu hinaus größere Wählerschichten zu gewinnen.
Im Ergebnis spiegelt sich eine klassische Großstadtsituation wider: eine Polarisierung zwischen linksliberal-bürgerlich-studentisch geprägten Milieus und jenen, die sich davon nicht angesprochen fühlen. Und in Städten, die nicht unmittelbar Universitätsstädte sind, reicht das eben nicht für eine Mehrheit.
Was sind die Gründe für den Wahlsieg von Torsten Burmeister?
Dieser Sieg kommt weniger durch eine besondere Stärke seiner Person, sondern vielmehr durch die Tatsache, dass es ihm gelungen ist, größere Teile der politischen Mitte für sich zu gewinnen.
Es war eine stark polarisierte Wahl zwischen linksliberal und eher konservativ rechts der Mitte. Der neue Oberbürgermeister konnte über das grüne Kernmilieu hinaus Mehrheiten organisieren.
Der Politikverdruss in Köln war zuletzt laut einer Umfrage sehr groß. Die Wahlbeteiligung bei der Stichwahl lag bei rund 45 Prozent. Hat der Neue es jetzt besonders schwer in Köln?
Ein Oberbürgermeister hat die Aufgabe, eine Stadt zusammenzuhalten. Wenn die Stadt aber in sehr unterschiedliche Milieus zerfällt, die kaum noch miteinander kommunizieren oder sich füreinander interessieren, wird es für Verwaltung und Oberbürgermeister schwierig, diese Stadt zusammenzuführen.
Diese Polarisierung ist nicht neu. Wir kennen das aus Berlin, Hamburg oder München. Sie hat sich in Köln aber jetzt sehr stark gezeigt. Die große Aufgabe wird sein, vor allem in den Stadtteilen mit niedriger Wahlbeteiligung und problematischen demokratischen Defiziten wieder Stabilität herzustellen. Es braucht das Gefühl, dass die Stadt funktioniert – und dieses Gefühl ist nicht überall vorhanden.
Die Grünen haben in NRW alle Oberbürgermeister-Stichwahlen in größeren Städten verloren, bis auf Münster. Waren diese Wahlen auch eine Art Anti-Grünen-Wahl?
Da wäre ich vorsichtiger. Wir wissen seit der Bundestagswahl, dass die Grünen vor allem ihr Kernmilieu ansprechen und kaum noch darüber hinaus wirken. In Münster gelingt das, weil die Stadt eine starke Universitätsprägung und ein ausgeprägt linksliberales Milieu hat. In Aachen, wenn auch eine Universitätsstadt, war das schon nicht mehr so stark.
In anderen Städten sind die Grünen in bürgerlichen Vierteln verankert, erreichen aber andere Stadtteile kaum noch. Dort gelten sie teils als abgehoben und nicht anschlussfähig. Das ist aktuell ihr Kernproblem – nicht nur in NRW, sondern bundesweit.
Was sind die Gründe dafür?
Es gab in den letzten Jahren eine verunglimpfende Kampagne von Seiten der AfD gegen die Grünen. Diese ist teilweise auch von CDU und CSU übernommen worden. Da ging es um Begrifflichkeiten wie "linksgrün-versifft" oder der Vorwurf, die Grünen würden angeblich das Grillen verbieten wollen – wobei ich nicht gehört habe, dass die Grünen das jemals wollten. Das hat aber Wirkung vor Ort gezeigt.
Die Grünen sind ein Symbol geworden für ein abgehobenes Milieu – wobei sie sich andererseits auch Mühe gegeben haben, sich so zu präsentieren. Etwa bei Diskussionen ums Gendern, oder ob wir alle das Fahrrad nehmen sollen oder doch noch das Auto. Das hat auch in Köln eine große Rolle gespielt.
Was müssen die Grünen tun, um künftig wieder Stichwahlen zu gewinnen?
Die Grünen müssen Menschen jenseits ihrer eigenen Blase reale Angebote machen. Das ist eine langwierige Aufgabe und nicht einfach. Die Grünen sind stark getragen von einem akademischen, bürgerlichen und finanziell gut ausgestatteten Milieu. Das tut sich schwer damit, in Stadtteile zu gehen, wo soziale Fragen drängender sind.
Dazu braucht es ein Gespür, eine Sprache und eine Strategie. Alle drei Punkte sind bei den Grünen derzeit noch ausbaufähig.
Ganz allgemein zu den Kommunalwahlen: Ist Ihnen nach dem ersten und zweiten Wahlgang in NRW etwas besonders aufgefallen? Gibt es eine Geschichte dieser Wahl?
Auffällig sind die AfD-Ergebnisse. Auch wenn sie keine der drei Stichwahlen gewonnen haben, wird die Partei in vielen Kommunalparlamenten in NRW stark vertreten sein. Wir wissen noch nicht, was das für die Stadtpolitik und die Verwaltung bedeutet.
Meine Vermutung: In manchen Kommunen wird es von AfD-Seite kaum Initiativen geben, weil die Gewählten überfordert sind. In anderen wird man mit populistischen Anträgen viel Wirbel machen. Dieser Wirbel mag inhaltlich nicht entscheidend sein, wird aber die Stimmung verändern. Menschenfeindlichkeit in Parlamenten ist etwas, das wir ernst nehmen müssen.
Das andere Signal ist, dass die SPD Dortmund verloren hat – eine Sensation. Es zeigt das große Problem der Parteien der Mitte: Traditionelle Verankerungen gelten nicht mehr. In Städten wie Dortmund oder Gelsenkirchen, wo die SPD jahrzehntelang gesetzt war, ist das nicht mehr selbstverständlich.
In Gelsenkirchen liegt die SPD im Stadtrat gleichauf mit der AfD, in Dortmund hat sie den Oberbürgermeister verloren. Das eröffnet Chancen für neue Kandidaten und Parteien, zeigt aber auch den Niedergang einst fester Strukturen.
Herr Professor Borstel, wir danken Ihnen für das Gespräch.
- Telefon-Interview mit Professor Dierk Borstel, Fachhochschule Dortmund



